Ein deutsches Konzertprogramm mit italienischer Note
5 Juni 2013
18. Orgelfrühling in Böblingen: Der Organist Giorgio Parolini aus Mailand hat am Sonntag in der St. Maria-Kirche gespielt
Mailand ist mit 1,3 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt Italiens. Viele ehrwürdige Kirchen stehen hier, an einer ist Giorgio Parolini tätig: der Basilika St. Eufemia. Seit 1999 ist Parolini hier Titularorganist. Der Ehrentitel wurde ihm für seine virtuosen Fähigkeiten an der Orgel verliehen. Am Sonntag war der 1971 geborene Musiker in Böblingen zu Gast und gestaltete in St. Maria das dritte Konzert des diesjährigen Orgelfrühlings. Der Italiener hatte ein deutsches Programm mitgebracht, aber Italien war trotzdem gegenwärtig, denn einige der deutschen Komponisten bezogen sich auf italienische Musik.
Der erste Konzertteil war Johann Sebastian Bach und seinen Schülern gewidmet. Bach war ja vieles: Orgel- und Klavier-Virtuose, Dirigent, Musikdirektor, Instrumentenbaufachmann. Aber er war auch ein bedeutender und begabter Pädagoge. Seine Söhne unterrichtete er, aber auch manch anderen viel versprechenden Musiker. Zwei seiner Schüler hörte man in St. Maria, darunter den Orgelmeister Johann Ludwig Krebs, den Bach besonders schätzte. Der Organist aus Mailand entfaltete dieses interessante Programm mit großer Ruhe und Umsicht. Er diente den Werken und stellte nicht das Ego in der Vordergrund.
Mit Johann Gottfried Walther begann der Abend. Walther und Bach begegneten einander in Weimar und wurden Freunde. In Walthers großem Musiklexikon taucht der verehrte Lehrer auf, ein erstes Anzeichen für Bachs Berühmtheit. Parolini eröffnete sein Konzert mit einer Bearbeitung von Walther, der ein Konzert Vivaldis auf die Orgel übertragen hat. Hier ging es also ebenso nach Italien. Parolini ließ sich auf die Verspieltheit der Musik ein.
Italien ear auch ein Bezungspunkt für Johann Sebastian Bach. Um 1713/14 entdeckt er den neuesten italienischen Concerto-Typus. Bachs Toccata F-Dur BWV 540 ist dem Solokonzert Vivaldischen Stils verpflichtet. Es ist ein ausladendes Werk, das in einer großen Fuge gipfelt. Diese Musik stand im Mittelpunkt des Konzerts. Der Organist hatte es mit gewaltigen Klangmassen zu tun, die er klar strukturierte. Neben dieser Musik verblasst alles andere.
Johann Ludwig Krebs (1713-1780) war ein Lieblingsschüler von Bach und einer seiner begabtesten. Als Organist genoss er einen hervorragenden Ruf. In seiner Fuge über die Töne B-A-C-H verbeugt sich Krebs vor dem Lehrer. Die vier Töne prägen das ganze Stück. Man hört die Nähe zum Lehrer, es klingt aber alles deutlich schlanker. Krebs ist hier schon der Klassik nahe. Es ist Muisk von großer Eleganz, die der junge italienische Organist mit Gespür dafür darbot.
Alles dreht sich rund um Johann Sebastian Bach
Nach der Pause war Bach weiterhin ein Thema: Max Reger, dessen „Benediktus“ nachdenklich erklang, lernte von Bach viel. Man hört es seiner Musik an. Mendelssohn initiierte die Bach-Renaissance im 19. Jahrhundert mit der Aufführung der „Matthäus-Passion“ 1829. Parolini widmete sich der dritten Orgelsonate in A-Dur von Felix Mendelssohn. Der Romantiker schuf sechs solcher Orgelsonaten: sie erschienen 1845 gleichzeitig in mehreren Musikmetropolen: in Leipzig, London, Paris und in der Heimatstadt Parolinis: Mailand. Das zeigt: Mendelssohn war ein europäisches Ereignis.
In der dritten Orgelsonate in strahlendem A-Dur greift Mendelssohn auf barocke Formen zurück. Der Einfluss Bachs ist spürbar. Das Pedal intoniert den Choral „Aus tiefer Not“ als Kontrapunkt zu einem dissonanten Thema (das aus der „Lobgesang-Sinfonie“ stammt). In diesen Klangwelten fühlte sich Giorgio Parolini hörbar wohl: Er ließ die Orgel der Marienkirche in ihrer ganzen Pracht leuchten und überstürzte nichts. Dieser Mendelssohn beeindruckte.
Großformatige Musik stand am Schluss. Die Toccata in h-Moll von Eugène Gigouts (1844-1925) ist ein wirkungsvolles Werk, das in vielen Farben schillert, das Hauptwerk des französischen Orgelmeisters. Am Ende des gut besuchten Konzerts gab es für den italienischen Organisten großen Beifall.
Jan Renz (Böblinger Kreiszeitung, 05/06/2013)